7. April 2017

Die Unendlichkeit


Du schaust aus dem Fenster - auf die Straßen, die Nachbarshäuser, die vereinzelten Bäume und auf die Felder im Hintergrund. Du siehst die Sonne aufgehen; ein neuer Tag beginnt. Ihre Wärme lässt die Tiere erwachen und ihr Licht uns Menschen. Ein paar Sonnenstrahlen treffen dein Gesicht, während du deinen Blick weiterhin aus dem Fenster richtest... Du siehst Vögel aus den Bäumen fliegen und auf den Straßen in der Ferne Autos fahren. Vielleicht fährt auch durch deine Straße ein Auto, aber ansonsten ist es ruhig. So ruhig, dass du den Moment lebst. Einfach nur schaust, was du entdeckst. Auf dem Feldweg läuft eine Frau mit ihrem Hund Gassi und gleichzeitig lassen die Bewohner im Nachbarshaus ihre Rolläden hoch. Es ist ein schöner Herbstmorgen, an dem du mit einer Tasse Tee in der Hand die letzte Wärme genießt. Du blickst zum Himmel und siehst weit entfernt ein paar Wolken herziehen. Es herrscht ein leichter Wind, der sich in den Blättern der Bäume widerspiegelt. Und wie du so deine Umgebung und das Wetter beobachtest, beschleicht dich ein Gefühl von Unendlichkeit. Als könntest du auf die ganze Welt blicken, ohne, dass die Zeit vergeht...

Das war mal ein etwas anderer Einstieg als sonst, wie ihr vielleicht bemerkt habt. Das Foto stammt vom September 2015 und ist eigentlich für schulische Zwecke entstanden, aber als ich letztens die Idee hatte, das Thema "Unendlichkeit" in Bezug zum Skin Picking aufzugreifen, schien es mir passend. Erst recht mit so einem kreativ-textlichen Input als Ein- bzw. Überleitung.

Doch wie kam ich auf das Thema Unendlichkeit? Es war ein Blitzgedanke, der mich während einer langen Drücksession vor dem Spiegel traf. Ich war mal wieder gefangen in diesem Teufelskreis, wo ich jeden Millimeter meiner Haut absuche und meine Hände keine Ruhe geben können, bevor ich nicht das Gefühl habe, jede einzelne Stelle bearbeitet zu haben. Ich stand also da und hatte schon unzählige Male zwischen Gesicht und Dekolleté gewechselt, sodass beide Regionen nahezu komplett rot und angeschwollen waren. Doch trotz dessen, dass ich eigentlich schon jede Stelle mindestens einmal hatte, konnte ich kein Ende finden. Und da traf mich die Unendlichkeit. Plötzlich erkannte ich, wie kurios das Skin Picking auch in dieser Hinsicht ist. Unsere Haut ist begrenzt, doch wir stören uns nicht daran. Wir Skinpicker finden immer noch eine Unreinheit, immer mehr, immer mehr. Selbst wenn das heißt, dass wir eigentlich nur tiefer "graben". Unsere Hände scheinen endlos Kraft zu haben, sie werden niemals müde. Egal, wieviele Stunden sie schon in Kleinstarbeit sämtliche Pickel ausgedrückt/aufgekratzt haben. Auch die Zeit als begrenzte Einheit können wir (scheinbar) durchbrechen. Wenn wir in Trance fallen, spielt die Zeit nämlich keine Rolle mehr. Das Zeitgefühl schwindet und wir fühlen einen Zustand von Unendlichkeit. Wir sind gefangen in einem Moment, der niemals endet, solange wir nicht aufwachen und das Drücken beenden. Das Gefühl von endloser Macht beschleicht uns, obwohl wir in solchen Momenten keine Weitsicht haben. Genau genommen ist es nicht mal Macht, sondern das Gegenteil. Aber das ist egal... Denn alles, was wir fühlen, fühlt sich endlos an. Und alles, was wir machen, können wir unendlich lange machen. Es ist ein ganz anderer Zustand, in dem wir uns mit der Dermatillomanie befinden. Eine andere Welt, die nur uns Zutritt gewährt. Eine unendliche Welt.

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